Kurzbiografie

Zinovy Goldberg

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Zinovy Goldberg wurde am 20. August 1930 in Leningrad geboren und lebte dort mit seinem Vater und seiner Mutter. Für beide Elternteile war es die zweite Ehe, die sie eingegangen waren. Während der stalinistischen Säuberungen 1937/1938 hatte sein Vater, der als Lokführer arbeitete, Repressalien erdulden müssen, und die Familie hatte nach seiner Verhaftung nichts mehr von ihm gehört. Letztlich erfuhren sie, dass er als vermeintlicher „Konterrevolutionär“ erschossen worden war, sein Besitz und seine Wohnung wurden enteignet. Zinovijs Mutter Frida (Goldberg) musste den kleinen Jungen und die zehn Jahre ältere Tochter aus der ersten Ehe, Tina, die nun zu ihr zog, fortan allein versorgen. Aus der Stadt galt es nun, wegzuziehen, in einen Vorort Leningrads, Kolomjagi. Es war ein Glücksfall, dass Frida eine Stelle in einem Milchladen gefunden hatte – dies war für die Familie wohl ein entscheidender Faktor für ihr Überleben während der Blockade. Auch die Schwester, die nach der Schule Medizin studierte, half, die Familie zu versorgen. Im Herbst 1941 hatte sie zudem beim Bau der Befestigungsanlagen in Vororten Leningrads mitgearbeitet und spendete Blut für die Kriegsverletzten. Das ebnete ihr den Weg zur sogenannten „Arbeiterkarte“, mit der ihr 500 Gramm Brot zustanden. Zinovij bekam – wie grundsätzlich alle Kinder und nicht-arbeitenden Familienangehörigen – nur 125 Gramm Brot. Seine Mutter war es, die durch ihren „eisernen Willen“, wie Zinovij sagt, die Rationen am Esstisch behutsam aufteilte und den Kindern verbot, alles auf einmal zu essen. Für ihn ist es seine Mutter, die sein Überleben sicherte.
Die Familie wurde relativ spät aus Leningrad evakuiert, im Juli 1942. Diese Zeit stellte eine „Atempause“ für die Leningrader dar – die schrecklichste Zeit des Massensterbens war vorbei und im Sommer konnte man sich aus den privaten Gärten versorgen. Doch trotzdem wollten die Leningrader die Stadt verlassen, was nicht einfach war, vor allem für die Familien der politisch Drangsalierten. Zinovijs Schwester fand eine Möglichkeit, die Evakuierung über einen ihrer Lehrer in die Wege zu leiten. Über den Ladogasee fuhren sie in einem Motorboot und wurden dann ins Landesinnere, nach Tatarstan (Mamadysch) gebracht. In Kasan, der Hauptstadt Tatarstans, studierte Fridas Sohn aus der ersten Ehe, sein Vater war zusammen mit den anderen sowjetischen Juden im Januar 1942 in Kertsch erschossen worden. Hier befand sich die hierher evakuierte Charkiver Luftfahrthochschule, und hier begann auch Tina ihr Studium.

Erst dann begann man, so Zinovij, wieder „normal“ zu essen. Frida arbeitete in einem Buchladen und Zinovij erinnert sich gerne an die spannende Jugendliteratur, die seine Mutter aus dem Buchladen mitbrachte.

Nach dem Kriegsende kehrte die Familie nicht nach Leningrad zurück (Frida befürchtete eine erneute Verfolgung wegen der Repressionsgeschichte des Vaters), sondern zog nach Charkiv. Erst 1961, als der Vater offiziell rehabilitiert war, kam die Familie nach Leningrad zurück. Hier bekamen sie eine Wohnung in der Stadt.

Während des Interviews trägt Zinovij eine Medaille mit grün-gelbem Band: die Auszeichnung zum „Bewohner des belagerten Leningrads“. Diese wurde 1989 durch die Stadtverwaltung Leningrads eingeführt und brachte gewisse soziale Leistungen und Privilegien mit sich. Doch nicht alle „blokadniki“ erhielten sie. Eine Voraussetzung war das Verbringen von mindestens vier Monaten in der belagerten Stadt (innerhalb des Blockadezeitraums 08.09.1941 – 27.01.1944). Als Zinovij sich darum kümmerte, Zeugnisse darüber zu sammeln, dass er als kleiner Junge im „Todeswinter“ 1941/42 in Kolomjagi lebte, musste er feststellen, dass von seinem damaligen Holzhaus nur ein Bombenkrater geblieben war. Abermals ein Beweis, dass die Evakuierung lebensrettend war … Die „Blokadnik-Medaille“, wie sie umgangssprachlich bezeichnet wird, ist für die Überlebenden von gewaltiger Bedeutung: Dieses Symbol macht das Überleben zu einer zivilen Heldentat, wertet die blokadniki als auf gleicher Ebene stehend mit den Frontkämpfern auf und ist ein Zeichen der kollektiven Solidarität mit allen anderen Schicksalsgenossen …