Vladimir verbrachte in der Blockade Leningrads sechs Monate – bis zur Evakuierung im Februar 1942 – und erlebte somit die schlimmste Hungerzeit. Er und die Großmutter bekamen nur 125 Gramm Brot pro Tag, und das war das Einzige, was sie an Essen hatten. Vladimirs Mutter arbeitete im Krankenhaus als Pflegerin und erhielt eine Arbeiterportion, 250 Gramm. Als im Februar 1942 das Personal des Evakuierungskomitees in ihr Haus kam, um die noch Lebenden einzusammeln, war die Familie Kachalovs dem Tod näher als dem Leben. Alle anderen Wohnungsbewohner, die große Familie des Onkels, war an Hunger gestorben. Die Überlebenden hatten keine Kraft gehabt, sie aus der Wohnung zu schaffen, die toten Körper blieben in den kalten Zimmern liegen.
Vladimir, seine Mutter und Großmutter wurden auf einem offenen LKW zum Finnischen Bahnhof, von wo der Evakuierungsweg startete, gebracht. Mit dem Zug erreichten sie den Ladogasee und wurden dort wieder in LKWs geladen, die sie dann über das Eis zum gegenüberliegenden Ufer des Sees, in ein Gebiet, das nicht von den Deutschen besetzt war, brachten. An den dortigen Evakuierungspunkten erhielten sie Essen, doch viele Menschen aßen gleich zu viel davon, vertrugen das „normale“ Essen nicht mehr und starben an Magenerkrankungen. An den Evakuierungspunkten gab es auch die Möglichkeit zum Duschen und Entlausen, und hier erinnert sich Vladimir stechend an die schrecklich abgemagerten Körper der Leningrader. Familie Vladimirs wurde nach Kasachstan in die Stadt Semipalatinsk evakuiert. Zunächst war es nicht einfach, nach Leningrad zurückzukehren, da in der Stadt niemand von der Familie geblieben war. Nach einiger Zeit in Charkiv kehrte Familie im Sommer 1945 nach Leningrad zurück. Sein älterer Bruder fiel kurz vor Ende des Krieges in Königsberg, sein Vater überlebte schwer verwundet den Krieg und kehrte ebenfalls nach Leningrad zurück.
1. Sestrorezk (finnisch: Siestarjoki), eine Kleinstadt 34 Kilometer nordwestlich von St. Petersburg, am Finnischen Meerbusen.